Fernseh-Meerschweine
Vier Monate Madagaskar, um Daten zu sammeln für meine Diplomarbeit. Nach einer solchen Reise muss
man auf Überraschungen gefasst sein. Immerhin hatte ich meinen Freund und die vierköpfige
Meerschweinchenfraktion zusammen zurückgelassen. Vor der Abfahrt wurde mein Freund genaustens über
die Pflege und Ernährung der Meerschweine instruiert und ich ging freudig auf Reisen.
Die Überraschungen kamen nach der Heimkehr: Bei meinem ersten Blick in den Käfig sprang mir ein
Ding entgegen, was ich erst als Staubwedel, dann aber doch als Meerschwein identifizierte. Meine
Pamela, ein Coronet, hatte ihre ganze Energie in das Haarwachstum gesteckt und dies war dann so
verfilzt, dass sie aussah wie toupiert. Leider kann nur ich sie bändigen und ihr die Haare bürsten,
da es sich um ein "Zappel- und Beißschwein" handelt. Darum hat mein Freund sie auch nie angefaßt.
Auch bei meinem Freund sah es nicht viel anders aus, und so gab es einen schnittigen Stufenschnitt
für beide.
Zudem hatten auf den zweiten Blick Freund und Schweine zehn bis 20 Prozent an Gewicht zugelegt. Der
angebliche Grund: "Wir waren doch so einsam!" Also wurde das Projekt "Weniger dickmachendes Futter
(Körner bzw. Pizza) und mehr Bewegung für alle" gestartet.
Nach vier Monaten Entzug freute ich mich an meinem ersten Abend zuhause schon aufs fernsehen. Dann
wieder die alte Leier: Werbung! Doch was nun? Die Meerschweinchen sprangen auf, rannten zum
Futterplatz und quiekten sich die Kehle aus dem Leib. Ich fragte ganz verdutzt: "Was ist denn
jetzt los?" Mein Freund trocken: "Es ist Werbung!" Und auch als kurz danach das Telefon klingelte,
quiekte die ganze Fellfraktion wieder ohrenbetäubend. Ich verstand die Welt nicht mehr, das hatten
sie doch noch nie gemacht!
Üblicherweise sind Meerschweine auf das Rascheln von Gemüsetüten oder das Heimkommen eines
potentiellen Futtergebers konditioniert. Das heißt, diese Geräusche werden mit möglicherweise
darauf folgender Futtergabe assoziiert und aus lauter Aufregung erfolgt dann das für
Meerschweinchen typische laute "Chorquieken". Nun hat mein Freund, der "Strohwitwer", seine Tage
und Abende vor dem PC oder Fernseher verbracht. Aufgestanden ist er nur während der Werbepausen
oder wenn das Telefon geklingelt hat. Wenn er dann schon mal "unterwegs" war, hat er den
Meerschweinchen oft das beliebte Grünfutter fertig gemacht und gegeben.
Somit haben meine Meerschweine es gelernt, dass auf die Erkennungsmelodie vom Werbefernsehen
und den Telefonklingelton mit Gurke und anderen Leckereien zu rechnen ist. Ein bisschen wirkte
das Quieken sicher auch als kleine Erinnerung an meinen Freund, der die Fütterung der Schweinchen
so nie vergessen konnte.
Ich habī mich schlappgelacht und war wahrlich erstaunt über das Melodien-Erkennungsvermögen
meiner Meerschweine. Im Nachhinein ließ sich sogar nachvollziehen, welches Programm mein Freund
am meisten geguckt hat, denn bei der ProSieben Werbemelodie standen die Schweinchen am schnellsten
am Gitter. Oder liegt es vielleicht daran, dass die ProSieben Melodie einprägsamer ist, als die der
anderen Sender?
Und wieder wurde mir bestätigt, daß Meerschweinchen ganz gewiß nicht dumm sind und anscheinend
ein gutes Gehör haben. Und natürlich zeigte sich, dass man sie - wenn es um Futter geht - auf so
ziemlich alles konditionieren kann.
Werbung weckt neue und alte Bedürfnisse - anscheinend auch bei Meerschweinchen.
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